Freimaurerei vermittelt Inhalte die u.a. aus Symbolen der Bauhüttentradition, d.h. aus dem Bauhandwerk des Mittelalters, entliehen sind. Aus dem einstigen Umfeld einer Baustelle entlehnt und zu Werkzeugen des Geistes erhoben, vermochten Freimaurer mit ihrer Hilfe einen einzigartigen Weg zu beschreiten. Unterschiedliche Strömungen des Abendlandes, die das gleiche Ziel vermittelten, bereicherten die Freimaurerei über Jahrhunderte hinweg. So entwickelte sich eine Lehre, die nicht nur aus Respekt sondern auch aus Ehrfurcht es verdient »Königliche Kunst« genannt zu werden.
Am 24. Juni 1717 wurde die Großloge von England durch Zusammenschluss von vier Londoner Logen gegründet. Die Gründer sahen sich in der Tradition der alten Steinmetzbruderschaften. Wir wissen, dass es vor dem Gründungsdatum bereits die Freimaurerei gab. Insbesondere in der Zeit der Renaissance (14. bis 17. Jahrhundert), in der die griechisch-römische Antike in Europa wieder auflebte, traten geschichtliche Quellen verstärkt auf, die u. a. zur modernen Freimaurerei geführt haben. Die Freimaurerei, wie wir sie heute kennen, schöpft aus mindestens vier Quellen: Steinmetzbruderschaften, Kabbala, Hermetik, Alchemie und Rosenkreuzertum.
Reverend James Anderson wurde von der jungen Großloge von England beauftragt, die Alten Pflichten und die Geschichte der Freimaurerei zu verfassen (1723). Die Geschichte ist wunderbar ausgearbeitet. Sie wird anhand von Baudenkmälern erzählt. Die Fakten sind hauptsächlich aus der Bibel entliehen, aber berücksichtigen gleichwertig große Berühmtheiten der Geschichte. Besonders hervorgehoben wird Vitruvius, römischer Architekturtheoretiker, der um die Zeitwende lebte und ein zehnbändiges Werk zur Architektur verfasst hat. Pythagoras (570-510 v. Chr.), Sokrates (469-399 v. Chr.), Platon (428-348 v. Chr.) und Archimedes (287-212 v. Chr.) finden sich nicht zufällig in beiden Werken erwähnt.
Steinmetzbruderschaften, Christentum, Kabbala, Hermetik, Alchemie, Rosenkreuzertum und Freimaurerei schöpfen alle aus der gleichen Quelle, nämlich aus den alt- und neutestamentarischen Heiligen Schriften. Wir verstehen die alt- und neutestamentarischen Heiligen Schriften also nicht nur in einem wörtlichen bzw. historischen Sinn, sondern darüber hinaus auch in einem moralischen und einem esoterisch-mystischen Sinn. Ebenso deuten wir auch unsere Freimaurerische Symbolik in drei Bedeutungsebenen. Bei unseren Mitgliedern setzen wir als gemeinsame Grundlage ein christliches Bekenntnis voraus, aber wir stellen es jedem frei, ob er Jesus Christus als einen historischen Wanderprediger, als Gottes Sohn oder als die allegorische Personifikation eines geistigen Prinzips betrachtet. Weiterhin erwarten wir von den Mitgliedern unserer Loge ein Interesse an den philosophischen, gnostischen, hermetischen, kabbalistischen und rosenkreuzerischen Wurzeln bzw. Grundlagen der Freimaurerei sowie an templerischen und ritterlichen Inhalten.
© Text von Giovanni Grippo stammt aus dem Buch »Freimaurerei – Von der Veredelung der Seele«